Die "Königsetappe"
Burgfelden bis Gosheim
33,3 km, 1100m Auf-, 1160m Abstieg
Highlights: Laufen an der Eyach, Lochenhörnle, Wenzelstein, Plettenberg, Ratshausen, Deilingen, Oberhohenberg (1011m), Lemberg (1015m)
Heute ist die Königsetappe des Albsteigs. Am Ende des Tages werden es für mich 34 km, 1200 m Auf- und 1200 m Abstieg sein.
Ich hatte eine erholsame Nacht im Hotel „Landhaus Post“. Der Ortsteil Burgfelden ist ein Teilort von Albstadt und liegt auf über 900m Höhe. Als ich um 7:40 nach dem Frühstück das Hotel verlasse, ist es erstaunlich mild, denn wir haben eine Inversionswetterlage. Ich bin ziemlich aufgeregt, nachdem ich nach dem Frühstück dem ersten Albsteig Wanderer begegnet bin. Dieser läuft den Albsteig in Gegenrichtung und ist meine heutige Etappe gestern gewandert. Im Vorbeigehen erzählt er mir noch, dass er gestern schon kurz nach 6 Uhr gestartet ist. Jetzt ist es schon kurz vor 8, eigentlich zu spät für so eine lange Etappe mit 10 Stunden Gehzeit! Also nichts wie los! Es ist ein wunderbarer Herbstmorgen und eine frische Luft hier oben, als ich den Ort über eine Wiese Richtung Albtrauf verlasse.
Als ich den Waldrand erreiche, sehe ich die ersten Hinweisschilder, vor lauter Hektik halte ich mal wieder eine rote Raute für ein Dreieck und laufe daher in die falsche Richtung. Erst nach fast 500 m bemerke ich den Irrtum und muss wieder zurück. Na toll, ausgerechnet bei der längsten Etappe muss ich mich verlaufen. Ab jetzt werde ich mich beim Lesen der Schilder mehr konzentrieren, denn ich habe seit gestern die Sprachnavigation von Komoot abgeschaltet – die hilft mir also auch nicht. Es bleibt mir nur wenig Zeit die schöne Aussicht hinab ins Tal und auf die bewaldeten Berge des Albtraufs zu genießen. Der Weg führt jetzt steil, ca. 300 m nach unten, Richtung Laufen an der Eyach. Das ständige „bremsen“ auf den Schotterwegen kostet viel Kraft. Ich habe das Gefühl, in einen Kühlschrank hinabzusteigen, je tiefer ich komme desto kälter wird es. So extrem habe ich eine Inversionswetterlage noch nie empfunden. In Laufen angekommen, ist das Städtchen wie ausgestorben. Es ist Freitag Morgen und alle Bewohner scheinen bei der Arbeit zu sein. Also genieße ich die Stille im Ort und sinniere etwas über den Spruch an einem alten Mühlstein:
„Solange der Bauer pflügt den Acker und Sähet aus das Korn!
Solange das Wasser treibt die Mühl und der Müller malt das Korn!
Solange der Bäcker backt das Brot so haben wir keine Not!“
- So einfach kann das Leben sein. Direkt im Ortskern steigt der Weg wieder steil an und es geht wieder 300 m nach oben zum Aussichtspunkt Lochenhörnle. Auf dem Wegweiser lese ich auch zum ersten Mal Lemberg (25,6 km). Am Hörnle habe ich erneut schöne Ausblicke hinunter ins Tal, aber auch zurück den Albtrauf entlang nach Osten. Nach einigen Aufnahmen wandere ich weiter zum Lochenpass.
Hier war ich zum letzten Mal vor über 30 Jahren: werde ich die Gegend wieder erkennen? Der Lochenpass trägt seinen Namen zurecht, denn die Straße hier hoch führt über sechs 180 Grad Kehren. An der Jugendherberge vorbei überquere ich die Passstraße. Der Lochenstein liegt nicht direkt auf der Route des Albsteigs, doch der kurze Umweg stört mich jetzt nicht. Dafür finde ich trotz der Trockenheit einige schöne Blumen und es gibt sogar eine Hütte des Albvereins. Da ich nicht den gleichen Weg wieder zurück zum Albsteig laufen möchte, wähle ich eine Abkürzung. Diese stellt sich aber als sehr steiler Abstieg, mit losem Gestein, heraus. Ein Schild warnt: „Nur für geübte Wanderer“. Ich bin heilfroh, als ich den Stichweg geschafft haben und auf die Lichtung einer Wacholderheide trete. Hier weidet gerade eine Schafherde, die auch einige Ziegen enthält. Es scheint so, als würde ein Ziegenbock Wache halten, so wie dieser auf einem Baumstumpf Ausschau hält.
Aufwärts führt der Weg zum Schafberg. Für mich ist es nach über 10 km Zeit für eine erste kurze Rast. Wie auf Bestellung erreiche ich eine Bank, von der ich einen Blick hinunter ins Tal zur Schafherde habe. Erinnerungen ans Allgäu werden wach. Der 1000 m hohe Schafberg liegt im Wald und bietet keine Aussicht, dafür gibt es einige interessante Felsen zu bewundern. Dann geht es zum Plettenberg mit seinem markanten Fernmeldeturm. Ein großer Teil des Plettenbergs wurde bereits beim Abbau des Kalkgesteins abgetragen. Der Kalk wird über eine Seilbahn ins Tal transportiert und dort zu Zement verarbeitet.
Trotzdem gibt es hier oben noch erhaltenswerte Natur und einige schöne Aussichtspunkte. Dann kommt der Abstieg nach Ratshausen. Der Weg ist so steil, dass ich mich mehrfach an dem vorhanden Stahlgeländer festhalten muss. Ich denke der wohl steilste Abstieg des ganzen Albsteigs.
Mein Wasservorrat geht zur Neige
Es sind immer noch über 10 km bis zum Lemberg und ich habe ein Problem: Durst! Die letzten Tage bin ich immer mit einem Liter Wasser ausgekommen und hatte sogar bei Tourende oft noch einen Rest Wasser in meiner Flasche. Heute ist es aber recht warm und die Tour ist mit 10 Stunden Wanderzeit wesentlich länger als an den Tagen zuvor. Dann passiert mir auch noch gleich bei der ersten Rast ein Missgeschick, denn ich verschütte meinen Becher. Ich hoffe die ganze Zeit auf einen Brunnen, aber es kommt keiner mehr. Der einzige Brunnen, den ich finde ist auf einer Viehweide und daher mit Sicherheit „Kein Trinkwasser“ wie das Schild verrät. Zum Glück finde ich einen Apfelbaum. Trotz der Trockenheit ist der Apfel sehr saftig und schmeckt einfach nur köstlich. Ich mache aber den Fehler keine weiteren Äpfel mitzunehmen. Auch in Ratshausen hat der einzige Dorfladen geschlossen, ebenso die einzige Wirtschaft, die ich finde und Apfelbäume gibt es auch nicht. Die nächste Ortschaft ist Deilingen, man wandert hier durch ein Gewerbegebiet. Ein Schild macht Werbung: „Mach doch mal Pause“. Ich sehe mich schon am Ziel meiner Wünsche, endlich etwas zu trinken. Aber die Backstube hat geschlossen, also versuche ich es beim Getränkehändler gegenüber. Ich läute mehrmals, aber niemand öffnet. Frustriert laufe ich weiter.
Der Letzte große Aufstieg
Das Problem, jetzt kommt der Lemberg und ich habe nochmal eine ordentliche Steigung vor mir. Mein Durst wird immer größer. Es muss einfach nochmal ein Brunnen kommen. Am Fuße eines großen Berges wie dem Lemberg gibt es bestimmt eine Quelle, sage ich mir. Endlich führt der Weg nach einem langen Stück am Bach entlang über Felder und Wiesen wieder in den Wald Richtung Oberhohenberg. Der Oberhohenberg ist wie eine Art Bruder des Lembergs. Wenn jetzt kein Wasser kommt dann wird der Aufstieg zur Qual. Plötzlich entdecke ich eine Hütte mit Spielwiese und Bänken und „ja“ ich sehe einen Brunnen, kann aber noch nicht erkennen, ob dieser noch Wasser führt. Ich komme näher und sehe den kleinen Wasserstrahl – endlich Wasser, ich bin erlöst!
Die Aufschrift „Kein Trinkwasser“ kann mich nicht abhalten, denn das Wasser ist kalt, klar und absolut geruchsneutral. Außerdem befindet sich der Brunnen unterhalb des bewaldeten Oberhohenbergs ohne Siedlung oder Straßen. Das Wasser schmeckt einfach nur köstlich, sodass ich mir auch noch meine Flache damit abfülle. Nach dem köstlichen Getränk spüre ich, dass ich Unterzucker bekomme, ich muss unbedingt vor dem Aufstieg noch etwas essen! Also beschließe ich auf einer Bank der schönen Wiese zu rasten und erst einmal in Ruhe etwas zu essen. Es ist aber schon 16 Uhr und ich habe mindestens noch 1,5 Stunden reine Gehzeit vor mir. Der Aufstieg fällt mir nach über 8 Stunden Gehzeit in den Beinen recht schwer, ich muss nochmals essen und trinken, dann erhole ich mich langsam etwas. Ich wundere mich, den Turm des Lembergs nicht zu entdecken, obwohl ich seit längerem Ausschau halte. Dann taucht auf einer Waldlichtung vor mir der Gitterturm des Lembergs auf und Erinnerungen an einen Besuch des Turms mit meiner Familie vor über 10 Jahren werden wach.
Und ich habe ein kleines Problem: Soll ich den Turm noch besteigen? Ich hatte dem Henrik, einem treuen Zuschauer meiner YouTube Videos versprochen den Turm zu besteigen…. Ich werde das Geheimnis hier nicht lüften.
Noch einige Aufnahmen und Fotos, dann will ich weiter Richtung Gosheim zu meinem Hotel. Ich freue mich schon so sehr auf mein Abendessen und mein Bett! Gegen 17:30 erreiche ich das Ortsschild von Gosheim, muss aber noch über einen Kilometer durch den Ort laufen, um mein Hotel zu erreichen. Leider habe ich bei meiner letzten Übernachtung etwas Pech und bekomme ein altes Zimmer mit Essensgerüchen und Spinne in der Dusche – aber auch das werde ich „überstehen“. Dafür gibt es heute mal ganz klassisch, Schnitzel mit Pommes Frites und dazu zwei Bier – ich denke ich habe es mir verdient!
Zum Schluss noch einige Impressionen vom Weg: